Arbeitsrecht Deutschland – das Aufwendungsausgleichsgesetz
Das Aufwendungsausgleichsgesetz („Gesetz über den Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlungen“, AAG) gleicht Kostenrisiken aus, die kleinen und mittleren Unternehmen aus Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfall und aus Mutterschutz-Leistungen entstehen können.
Wir informieren Sie über die wesentlichen Bestimmungen des Aufwendungsausgleichsgesetzes und weiterer wichtiger Gesetze aus dem Arbeitsrecht.
Das Aufwendungsausgleichsgesetz – Zweck und verfassungsrechtlicher Hintergrund
Insbesondere für kleinere Unternehmen stellen Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall und Aufwendungen bei Schwangerschaften eine erhebliche wirtschaftliche Belastung dar. Die bei den Krankenkassen eingerichteten Ausgleichskassen sorgen für den Ausgleich unternehmensindividueller Kostenbelastungen. Die Ausgleichskassen verwalten die aus den Zahlungen umlagepflichtiger Unternehmen gespeisten Sondervermögen (§ 8 Absatz 1 Aufwendungsausgleichsgesetz).
Seit dem Jahr 2006 regelt das Aufwendungsausgleichsgesetz die Verfahren zur Umlagen-Erhebung (Umlageverfahren) und zur Erstattung von Aufwendungen (Ausgleichsverfahren), die Arbeitgeber im Zusammenhang mit Entgelt-Fortzahlungen im Krankheitsfall („Umlage U1“) und von Mutterschutz-Leistungen („Umlage U2“) getätigt haben. Bis 2005 richteten sich Umlage- und Ausgleichsverfahren nach Bestimmungen des Lohnfortzahlungsgesetzes von 1969.
Anlass für die Schaffung des Aufwendungsausgleichsgesetzes war eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss Bundesverfassungsgericht vom 18.11.2003, Aktenzeichen 18.11.2003 – 1 BvR 302/96 -, USK 2003-29). Das BVerfG hatte in diesem Beschluss das bis dahin geltende U2-Umlageverfahren, das sich nur auf Kleinbetriebe bezog, für verfassungswidrig erklärt.
Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sei zwar durch die (damaligen) Regelungen des Lohnfortzahlungsgesetzes sichergestellt, dass bei Mutterschaft entstehende Arbeitgeber-Aufwendungen ausgeglichen würden. Allerdings galt das Ausgleichsverfahren bei schwangerschaftsbedingten Aufwendungen seinerzeit nicht für Unternehmen mit mehr 20 bzw. 30 Beschäftigten. Daher bestehe die Möglichkeit, so das Bundesverfassungsgericht, dass die am Umlageverfahren damals nicht beteiligten Unternehmen Frauen in Einstellungsverfahren benachteiligen könnten. Dies aber verletze das in der Verfassung niedergelegte Gleichberechtigungsgebot (Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz).
Arbeitsrecht Deutschland – die wesentlichen Änderungen durch das Aufwendungsausgleichgesetz 2006
Das Aufwendungsausgleichsgesetz änderte die bis dahin geltende Rechtslage in einigen Punkten erheblich:
- U1-Umlage: Kosten für Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfall werden ab 2006 auch bei Erkrankung von Angestellten erstattet. Bis 2005 bezog sich das Ausgleichsverfahren lediglich auf Kostenersatz für erbrachte Arbeitgeberaufwendungen für erkrankte Arbeiter.
- U2-Umlage: Das Umlage- und Ausgleichsverfahren für Personalaufwendungen aufgrund von Schwangerschaften bezieht nunmehr alle Arbeitgeber ein (unabhängig von der Arbeitnehmer-Anzahl eines Unternehmens) – und ist nicht mehr auf Kleinbetriebe beschränkt, wie es bis 2005 der Fall war.
Damit wurde auch den Bedenken des Bundesverfassungsgerichts zur möglichen Ungleichbehandlung von Frauen bei der Einstellung durch größere, nicht am Umlageverfahren beteiligte Unternehmen Rechnung getragen.
Umlageverfahren – Umlagesatz – Festlegung der Umlagehöhe
Die für Erstattungen im Rahmen des U1- und U2-Verfahrens benötigten Finanzmittel werden durch Umlagen der beteiligten Unternehmen aufgebracht (§ 7 Absatz 1 Aufwendungsausgleichsgesetz). Als Umlagesatz wird ein Prozentsatz der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer-Entgelte eines Unternehmens festgelegt. Die Umlagen sollen auch die anfallenden Verwaltungskosten abdecken.
Beachten Sie: Obwohl (unter anderem) Auszubildende bei der Ermittlung der Beschäftigten-Anzahl unberücksichtigt bleiben, zählen die Ausbildungsvergütungen zu den Arbeitsentgelten, die der Rentenversicherungspflicht unterliegen. Anteilig fließen also auch Ausbildungsvergütungen in den auf ein Unternehmen entfallenden Umlagebetrag ein.
Entgeltfortzahlung: Feststellung der U1-Umlagepflicht von Unternehmen
Zum Beginn jedes Kalenderjahres stellt die zuständige Krankenkasse die U1-Umlagepflicht eines Unternehmens fest (§ 2 Absatz 2 Satz 1 Aufwendungsausgleichsgesetz). Die Ermittlung der Beschäftigten-Anzahl und damit die Beurteilung einer Teilnahme-Verpflichtung am U1-Umlageverfahren obliegt dem Arbeitgeber. Die Krankenkassen sind zwecks Verwaltungsvereinfachung nicht zur förmlichen Prüfung der Beschäftigten-Anzahl verpflichtet. Allerdings kann der Arbeitgeber eine formelle Entscheidung bei einer Krankenkasse seiner Wahl beantragen.
Bei der Feststellung der Umlage-Pflicht ist die Mitarbeiter-Anzahl des Vorjahres maßgeblich (§ 3 Absatz 1 in Verbindung mit § 1 Absatz 1 Aufwendungsausgleichsgesetz). Umlagepflichtig ist ein Unternehmen dann, wenn es in mindestens acht Kalender-Monaten nicht mehr als 30 Personen beschäftigt hat. Für das Bestehen einer Umlagepflicht ist unerheblich, ob diese (mindestens) acht Monate mit nicht mehr als 30 Mitarbeitern unmittelbar aufeinander folgen.
Wurde ein Unternehmen im Laufe des vergangenen Kalenderjahres gegründet, so kommt es darauf an, ob die Monatsanzahl mit bis zu oder über 30 Mitarbeitern überwiegen.
Bei Gründung eines Unternehmens im Laufe desjenigen Kalenderjahres, für das die Umlagepflicht festgestellt werden soll, so wird aus der „Art des Betriebs“ abgeleitet, ob das Unternehmen im Durchschnitt des Gründungsjahrs voraussichtlich die 30-Mitarbeiter-Grenze überschreiten wird.
Bei der Ermittlung der Beschäftigten-Anzahl werden folgende Personengruppen nicht mitgezählt:
- Auszubildende
- Volontäre und Praktikanten
- Teilnehmer an einem freiwilligen sozialen (oder ökologischen) Jahr
- Schwerbehinderte
- Heimarbeiter
- Arbeitnehmer in der Altersteilzeit-Freistellungsphase
- Beschäftigte in der Pflege- oder Elternzeit
- Familienangehörige in landwirtschaftlichen Betrieben
Teilzeit-Beschäftigte finden entsprechend ihrer wöchentlichen Arbeitszeit bei der Ermittlung der Beschäftigtenzahl eines Unternehmens Berücksichtigung:
- Beschäftigte mit bis zu 10 Wochenstunden: 0,25
- mit bis zu 20 Wochenstunden: 0,50
- mit bis zu 30 Wochenstunden: 0,75 und
- über 30 Wochenstunden: 1,00
Die Krankenkassen als Träger der Ausgleichskassen
Umlageverfahren und Erstattungsleistungen erfolgen über diejenige Krankenkasse, bei der die Beschäftigten eines Unternehmens versichert sind (§ 2 Absatz 1 Satz 1 Aufwendungsausgleichsgesetz). Eine separate Anmeldung der Beschäftigten bei der zuständigen Ausgleichskasse ist nicht notwendig.
Für privat krankenversicherte Beschäftigte führen Arbeitgeber die Umlagebeträge an diejenige Krankenkasse ab, an die sie bereits die Beiträge zur Rentenversicherung entrichten.
Eine Ausnahme gilt hinsichtlich geringfügig Beschäftigter, für die die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See als Trägerin der knappschaftlichen Krankenversicherung zuständig ist (§ 2 Absatz 1 Satz 1 Aufwendungsausgleichsgesetz).
Arbeitgeber haben daher in Fragen des Umlage- und Ausgleichsverfahrens zumeist mehrere Ansprechpartner, wenn die Beschäftigten ihres Unternehmens bei verschiedenen Krankenkassen versichert sind.
Erstattungshöhe: anteilige Erstattung bei Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
Gemäß § 1 Absatz 1 AAG erstatten die Krankenkassen (Ausnahme: landwirtschaftliche Krankenkasse) im Rahmen des U1-Verfahrens
- 80 Prozent der von einem Unternehmen geleisteten Aufwendungen für Entgeltfortzahlung sowie
- 80 Prozent der auf diese Arbeitsentgelte entfallenden Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung (Arbeitslosen-, Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung).
Die Rechtsgrundlage für eine erstattungsfähige Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ergibt sich aus den §§ 3 und 9 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EntgFG).
- Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, das Entgelt von Arbeitnehmern bei Arbeitsunfähigkeit für bis zu sechs Wochen fortzuzahlen (§ 3 Absatz 1 EntgFG).
- Erstattungsfähig sind auch Entgeltfortzahlungen anlässlich von Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation (§ 9 Absatz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz).
Erstattungshöhe: vollständige Erstattung der Arbeitgeber-Zuschüsse zum Mutterschutzgeld
Das Mutterschutzgesetz (MuSchG) sieht bestimmte Beschäftigungsverbote vor. So gilt ein absolutes Beschäftigungsverbot für die „letzten sechs Wochen vor der Entbindung“ (§ 3 Absatz 2 Mutterschutzgesetz) und für die ersten achten Wochen nach der Geburt, bei Mehrlings- und Frühgeburten zwölf Wochen nach der Entbindung (§ 6 Absatz 1 MuSchG).
Gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmerinnen erhalten von ihrer Krankenkasse Mutterschutzgeld. Um Gehaltseinbußen auszugleichen, ist der Arbeitgeber zur Zahlung der Differenz zwischen Mutterschaftsgeld und dem bisherigen Arbeitsentgelt verpflichtet, maximal aber zur Zahlung eines kalendertäglichen Muttergeldzuschusses von 13 Euro.
Diese Zuschüsse, die der Arbeitgeber zum Mutterschutzgeld leistet (§§ 13, 14, 24i Sozialgesetzbuch V), sind vollständig erstattungsfähig (U2-Verfahren). Der Erstattungsanspruch ergibt sich aus § 1 Absatz 2 Nummern 1 und 2 Aufwendungsausgleichsgesetz.
Kostenerstattung nur auf Antrag des Arbeitgebers
Die jeweilige Krankenkasse leistet Erstattungen nur auf Antrag des vorleistenden Arbeitgebers (§ 2 Absatz 2 Satz 1 Aufwendungsausgleichsgesetz).
- Die Krankenkasse kann die Erstattung von Arbeitgeberaufwendungen ablehnen, wenn der Arbeitgeber im Erstattungsantrag nicht alle erforderlichen Angaben übermittelt (§ 4 Absatz 1 Aufwendungsausgleichsgesetz).
- Arbeitgeber sind seit Anfang 2011 verpflichtet, für das Erstattungsverfahren den maschinellen Datenaustausch zu nutzen (§ 2 Absatz 3 Aufwendungsausgleichsgesetz in Verbindung mit § 28a Absatz 3 und 4 Sozialgesetzbuch IV).
Voraussetzungen für Erstattungsleistungen in besonderen Fällen
Wenn ein Dritter die Arbeitsunfähigkeit von Beschäftigten zu vertreten hat, so verfügt der Arbeitnehmer möglicherweise über einen Schadenersatzanspruch gegen diesen Dritten. § 6 Absatz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes sieht für diesen Fall vor, dass ein Ersatzanspruch des Arbeitnehmers wegen Verdienstausfalls auf den Arbeitgeber übergeht – in Höhe der vom Arbeitgeber geleisteten Entgeltfortzahlungen (einschließlich entrichteter Sozialversicherungsbeiträge).
Die Krankenkasse wiederum ist zur Erbringung einer Erstattungsleistung nur dann verpflichtet, wenn der Arbeitgeber den Ersatzanspruch (der gemäß § 6 EntgFG auf ihn übergegangen ist) an die Krankenkasse abtritt (§ 5 Aufwendungsausgleichsgesetz).
Verjährung von Erstattungsansprüchen
Die Verjährungsfrist für Erstattungsansprüche eines Unternehmens gegen die zuständige Krankenkasse verjähren in vier Jahren – gerechnet ab dem Ende des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 6 Aufwendungsausgleichsgesetz).
Ausnahmen vom Umlageverfahren
Die beschriebenen Umlageverfahren finden gemäß § 11 Aufwendungsausgleichsgesetz insbesondere keine Anwendung auf
- Gebietskörperschaften und sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts
- Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege sowie deren Untergliederungen sowie
- mitarbeitende Familienangehörige landwirtschaftlicher Unternehmen.